Schlecht geträumt

Es ist 5:37 Uhr. Das Herz pocht. Schweißgebadet werde ich in meinem Bett wach, dabei sind die rekordverdächtigen Temperaturen der vergangenen Wochen eigentlich Geschichte.

Doch der Reihe nach.

Nachdem das FS I durch das Ablegen von vier Prüfungen abgeschlossen wurde und binnen einiger, weniger Tage postwendend die Rückmeldung über das Abschneiden vorlag, konnte die erste Praxisphase des Studiums beginnen. Voller Elan begab ich mich zu meiner Ausbildungsbehörde.

Okay, man muss dazu sagen: 30 Urlaubstage binnen fünf Monaten sorgen grundsätzlich schon dafür, dass die Kolleginnen und Kollegen der Stammverwaltung auch im August noch immer nicht genau wissen, wer eigentlich die neuen Anwärter (oft auch irrtümlicherweise „Azubi“ ausgesprochen) sind. Aber macht ja nichts. Schließlich hat alles seine Rechtsgrundlage, so ist das auch mit dem Erholungsurlaub nach und vor Mayen.

So vergehen die ersten Wochen und Monate bei vielen Anwärterinnen und Anwärtern irgendwo zwischen Kommunalwahl und Kroatien, Ausländerbehörde und Andalusien, oder zwischen Bauamt und belgischer Küste.

Doch warum dieses pochende Herz am Morgen? Egal, wird schon nichts Schlimmes sein. Was von alleine kommt, geht bekanntermaßen auch wieder von alleine.

Als man dann doch einmal für einige Wochen am Stück auf der Arbeit angekommen ist, erkennt man sogar die angenehmen Aspekte des Studiums und der Ausbildung. Kolleginnen und Kollegen laden zum Kuchen wegen Geburtstagen ein, die Fachbereichsleiterin spendiert ein Eis, da die Klimaanlage jenseits der 40 Grad-Marke leider immer noch nicht durch den Haushalt durch ist. Ja, sogar erste Freundschaften beginnen, sich zu festigen. Und doch ist da etwas im Hinterkopf. Ist es Misstrauen? Ist es Unsicherheit? Eine Vorahnung? Was ist es?

Nicht so schlimm, denke ich mir, und buche den nächsten Urlaub. Immer noch 14 Urlaubstage, die irgendwie getilgt werden müssen: „Im September bin ich wieder acht Monate weg“, sage ich zur Fachbereichsleiterin, die das irgendwie nicht so recht wahrhaben möchte.

Ob es dann direkt mit Prüfungen weitergeht, möchte sie im Gespräch wissen. Ist ja nett, dass die Führungskraft sich erkundigt, aber ich pariere gekonnt: „Nein nein, in der zweiten Woche des FS II haben wir eine Studiengruppenfahrt, es geht nach Wien.“ Das Gespräch ebbt danach irgendwie etwas ab. Merkwürdig, aber ich bedanke mich für das Interesse an meinem Studium, und arbeite nach dem Gespräch frohen Mutes weiter.

Doch etwas in mir ist unruhig. Ich kann es die ganze Zeit noch nicht richtig greifen. Doch an diesem Morgen ist es anders. Woher kommt dieses flaue Gefühl im Bauch?

„Bin ich krank…? Bin ic… kr….? Bin I… K….?“ Immer wieder habe ich die Buchstaben Iund Kim Kopf. IK? Interaktion und Kommunikation? Das war doch FS I, Schnee von gestern sozusagen. Ich kann es mir nicht erklären, aber irgendwas mit IK geistert mir unentwegt durch den Kopf!?

„Was von alleine kommt, geht wieder von alleine“, denke ich mir an diesem Morgen um 5:37 Uhr, öffne mein Smartphone, will gerade mein E-Mail-Postfach checken, als ich mir denke: „Ach, das hat auch noch bis nachher Zeit…“ und schlafe weiter.

Autor:

Patrick Weyer

Showdown – von Frank Voss

Ich nehme die Autobahnausfahrt und reihe mich in die Blechlawine ein, die Morgen für Morgen unaufhaltsam in Richtung der Rauchsäulen rollt, die mir in den letzten Monaten doch ach so vertraut geworden sind. Das Reißverschlussverfahren wird hier noch sehr ernst genommen. Gepaart mit der von mir zu Deutschlands nervigsten Ampel gekürten Verkehrsregelung, beschert es mir einen hasserfüllten, aber ruhigen Moment.

Ich denke nach.

So vieles ist zur Gewohnheit geworden. Das frühe Aufstehen zum Beispiel. Eben noch schaltet man den Fernseher aus und denkt sich, so, mal früh ins Bett, da klingelt der Wecker und man denkt sich, so, jetzt mal nen‘ schönen, spontanen Heulkrampf bekommen. Und alles nur für einen guten Parkplatz. Dieser wird selbstverständlich zugeparkt von jemandem, der nicht bis drei zählen kann und somit leider nicht merkt, dass die drei NACH der eins kommt! Also wählst Du, bevor Du Deine Heimfahrt antrittst, die Nummer gegen Kummer. Selten erlebe ich Menschen die so ruhig bleiben können, auch wenn sie zehn Mal am Tag „Der Fahrer des Wagens…möchte bitte sein Auto wegfahren“ sagen müssen. Gebt mir einmal das Mikro, denke ich. „Fahr Deine verdammte Karre weg, es ist schließlich fünf nach eins!“ Ich schweife ab. Gewohnheit. Ja. Meine DVP ist zur Gewohnheit geworden. Mittlerweile hat sie eine hübsche bunte Kurzhaarfrisur. Mir sagte einmal ein Dozent, sie wäre wie ein Kind. Nun verstehe ich die Parallelen. Du musst sie überall mit hin schleppen, verstehst kein Wort von dem was sie dir sagen will und musst ständig für neue Sachen blechen. Aber jetzt ist sie halt da und du kannst sie ja nicht einfach weggeben. Nur irgendwann langsam vernachlässigen. Dieser Mann sprach wahre Worte denke ich, da biege ich ein und schlängele mich vorbei an übelgelaunten Zeitgenossen, die nur ein Ziel haben: Kaffee. Nach dem ich meine winz Lücke im Parkhaus gefunden und mich aus dem Schiebedach meines Wagens gekämpft habe, steigt mir ein vertrauter, muffiger Geruch in die Nase. Kunstwerke wie „ACAB“, die den geistigen Horizont eines Dreijährigen erkennen lassen, geben diesem Ort durchaus einen urbanen Stil.

Vor den elektrischen Türen angekommen das nächste Hindernis. Diese Türen sind an der Hochschule für öffentliche Verwaltung genau richtig verbaut. Die haben so gar keinen Bock auf Hektik. Geduld. Nimmst‘ den Fahrstuhl denke ich, sparst du Zeit und bei deinem Alter ist es eh das Beste. Doch bevor ich mich versehe grinsen mich zwei blutjunge Studenten an und die Fahrstuhltüre schließt sich vor Ihnen. Alles klar Freunde, nicht mit dem Comander. Ich nehme alle Kraftreserven zusammen, sprinte ein Stockwerk empor und werfe mich gegen den Fahrstuhlknopf. Jetzt nicht schlapp machen! Die letzten Stufen keuchend, das letzte Stockwerk überwindend, höre ich die sich öffnende Fahrstuhltüre unter mir, gefolgt von einem zeitverzögerten „Der Arsch!“. Zufrieden schnappe ich nach Luft.

Die erste Pause naht. Erste Pause, erster Toilettengang denke ich und so mache ich mich auf den Weg zu dem Ort wo man sich zwar trifft, sich aber nicht die Hände zur Begrüßung reicht. Wie unhöflich. Das soll sich aber nun als mein geringstes Problem erweisen. Rechts belegt. Links belegt. Mitte frei. High Noon. Showdown. Das Ganze ist kein Spaß mehr, das ist bitterer Ernst. Wer zuerst aufgibt verliert. Ja kein Mucks. Genau meine Übung. Einmal die türkischen Berge im „Super Happy Gute Laune TUI Bus mit ohne Klo“ und Magen – Darm Grippe hoch und du bist der Meister der Selbstbeherrschung. Langsam wird’s eng. Sekunden vergehen wie Stunden, da höre ich links neben mir ein leises Wimmern. Was dann geschah wird mich noch lange verfolgen. Sekunden später höre ich wie draußen die Gullideckel wieder zu Boden fallen. Hoffentlich ist niemand verletzt denke ich, da öffnet sich auf der rechten Seite die Tür. Was ein Teufelskerl! Hat er doch tatsächlich die Gunst der Stunde genutzt. Was für ein Timing. Ein Profi. Gut. Nur noch wir zwei. Verständnisvoll frage ich „Mein Freund, geht es Dir gut?“, doch als Antwort: nur leises Wimmern. Ich erwidere: „Ich warte bis Du gegangen bist“, so viel Anstand muss sein in dieser schweren Stunde. Papier reißt, Wasser rauscht, die Türe öffnet sich. Als der Handtrockner verstummt, verstummt auch langsam das Wimmern.

Jetzt aber schnell. BWL. Noch fix die Splitterschutzweste und den Gefechtshelm an, bevor es heißt Defqon 1. Combat Zone. Kriechend und voll getarnt erreiche ich den Lehrsaal und bin reichlich überrascht. Niemand in Schutzkleidung da. Seltsam. Ob ich die Planänderung nicht gelesen habe, fragt man mich. Ich muss verneinen, völlig unverständlich, wenn man bedenkt, dass selbige ja rechtzeitig, also 4 Minuten vorher, auf meinem Handy „plopp“ gemacht hat. Hilft ja jetzt nichts. Ein Blick auf die Aktualisierung lässt mich blitzschnell die Notwendigkeit erkennen, meine Schutzkleidung gegen eine Patientenverfügung auszutauschen, die es meinen Angehörigen verbietet die Geräte während meines Wachkomas abzustellen. Staats- und Verfassungsrecht. So spannend, wie jedes Jahr zu Weihnachten „Der kleine Lord“ mit der Familie zu sehen. Die Parallelen sind verblüffend: steinalte Historie, aber du musst da durch. Macht man so.

In diesem Sinne Euch allen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch.

Der erste Tag.

Ich sitze in einer, mit Menschen reichlich befüllten, Aula und starre gebannt auf sechs mal vier Meter Beamer Leinwand. „Herzlich willkommen!“ so oder so ähnlich, den genauen Wortlaut verschlang der Sand der Zeit. In Gedanken schweife ich ab. Dieses Studium, diese Hochschule. Hier bin ich. Ist es das? Wo will ich in drei Jahren stehen? Was will ich erreichen und warum zum Henker ist es hier so unfassbar warm?! „Ruanda!“ Ich komme zu mir. Pass auf denke ich, muss wichtig sein, der Mann redet seit einer Stunde darüber. Bevor ich mich versehe rät mir ein auffällig gut gekleideter, junger Mann dazu „etwas draus zu machen“. Habe ich vor Kollege, denke ich und nehme mir vor meine Motivation auf Maximallevel zu halten – ich höre mein zukünftiges Ich herzhaft lachen. Egal. Meine Stimmung ist gut. Genauso wie die Parkplatzsituation heute Morgen – mein zukünftiges Ich hat sich derweil Popcorn gemacht und weint Tränen vor Lachen.

Die ersten Tage verlaufen gut. Wenn man davon absieht, dass der Holzschutzlack der im lebensbejahenden Charme der Achtziger gefertigten Zimmerdecke, auf Grund der herrschenden Gluthitze langsam beginnt Blasen zu werfen. Der Unterrichtsstoff ist einfach, alles schon Mal in Sozi gehabt. Kann so weiter gehen denke ich noch, da trifft mich eine Produktionsgüter – Kugel mit Überschall mitten vor den Bug. „Was ist denn jetzt los?!“, rufe ich empört. BWL, Du Lurch. Ab jetzt hat „MachineGun“ dein Leben in der Hand. Während ich den anderen zu rufe „Lasst mich zurück, ohne mich seid ihr schneller!“, suche ich Schutz unter meinem Pult. Doch wir sind nicht die Einzigen die nun den Ernst der Lage erkannt haben, denn mitten im Kugelhagel gelangt der Duft von verbrannten Kugelschreiberminen und auf Collage Block Papier getrockneten Tränen aus dem Nachbarlehrsaal zu mir. Staats – und Verfassungsrecht. „Arme Tropfen“, denke ich, da läutet es endlich.

In der Kantine herrschen Zustände, die mich erahnen lassen was passieren würde wenn die Queen persönlich gratis iPhones verteilen würde. Man sagt manche Studenten hätten ihre Thesis in der Kaffeeschlange geschrieben. Ich treffe Peter. Da steht er. „Peter, da geht er“ währe maßlos übertrieben und bei seinem exorbitantem Konsum von Fair Trade Bohnen Aufguss wundert es mich nicht dass er sich seine Post direkt in die Kantine zustellen lässt.

Ich trinke kein Kaffee. Gut für mich. Ich mag Äpfel. Äpfel sind aus. Schlecht für mich. Frage ich mal höfflich nach, denke ich und erfahre wer hier der Chef ist. Mit der Aura und Ausstrahlung eines Syndikat Bosses erklärt mir mit versteinerter Miene und filmreifem Dialekt die vor mir stehende Kantinen Dame, dass „die Ware“ bestellt wäre. Sie hätte aber noch einen. Ihr Blick nach rechts und links gibt mir das Gefühl gleich eine Straftat zu begehen. Ich erhalte „die Ware“ und suche den Ring den es zu küssen gilt um meine ewige Treue zu schwören. Heute besser nicht. Die Kaffeemaschine streikt. Großalarm. Ein Börsencrash beschreibt die Stimmung nicht ansatzweise. Als ich mir den Weg durch den wütenden Mopp bahne sehe ich Peter. Er geht nen‘ Meter.

Autor:

Frank Voss