Showdown – von Frank Voss

Ich nehme die Autobahnausfahrt und reihe mich in die Blechlawine ein, die Morgen für Morgen unaufhaltsam in Richtung der Rauchsäulen rollt, die mir in den letzten Monaten doch ach so vertraut geworden sind. Das Reißverschlussverfahren wird hier noch sehr ernst genommen. Gepaart mit der von mir zu Deutschlands nervigsten Ampel gekürten Verkehrsregelung, beschert es mir einen hasserfüllten, aber ruhigen Moment.

Ich denke nach.

So vieles ist zur Gewohnheit geworden. Das frühe Aufstehen zum Beispiel. Eben noch schaltet man den Fernseher aus und denkt sich, so, mal früh ins Bett, da klingelt der Wecker und man denkt sich, so, jetzt mal nen‘ schönen, spontanen Heulkrampf bekommen. Und alles nur für einen guten Parkplatz. Dieser wird selbstverständlich zugeparkt von jemandem, der nicht bis drei zählen kann und somit leider nicht merkt, dass die drei NACH der eins kommt! Also wählst Du, bevor Du Deine Heimfahrt antrittst, die Nummer gegen Kummer. Selten erlebe ich Menschen die so ruhig bleiben können, auch wenn sie zehn Mal am Tag „Der Fahrer des Wagens…möchte bitte sein Auto wegfahren“ sagen müssen. Gebt mir einmal das Mikro, denke ich. „Fahr Deine verdammte Karre weg, es ist schließlich fünf nach eins!“ Ich schweife ab. Gewohnheit. Ja. Meine DVP ist zur Gewohnheit geworden. Mittlerweile hat sie eine hübsche bunte Kurzhaarfrisur. Mir sagte einmal ein Dozent, sie wäre wie ein Kind. Nun verstehe ich die Parallelen. Du musst sie überall mit hin schleppen, verstehst kein Wort von dem was sie dir sagen will und musst ständig für neue Sachen blechen. Aber jetzt ist sie halt da und du kannst sie ja nicht einfach weggeben. Nur irgendwann langsam vernachlässigen. Dieser Mann sprach wahre Worte denke ich, da biege ich ein und schlängele mich vorbei an übelgelaunten Zeitgenossen, die nur ein Ziel haben: Kaffee. Nach dem ich meine winz Lücke im Parkhaus gefunden und mich aus dem Schiebedach meines Wagens gekämpft habe, steigt mir ein vertrauter, muffiger Geruch in die Nase. Kunstwerke wie „ACAB“, die den geistigen Horizont eines Dreijährigen erkennen lassen, geben diesem Ort durchaus einen urbanen Stil.

Vor den elektrischen Türen angekommen das nächste Hindernis. Diese Türen sind an der Hochschule für öffentliche Verwaltung genau richtig verbaut. Die haben so gar keinen Bock auf Hektik. Geduld. Nimmst‘ den Fahrstuhl denke ich, sparst du Zeit und bei deinem Alter ist es eh das Beste. Doch bevor ich mich versehe grinsen mich zwei blutjunge Studenten an und die Fahrstuhltüre schließt sich vor Ihnen. Alles klar Freunde, nicht mit dem Comander. Ich nehme alle Kraftreserven zusammen, sprinte ein Stockwerk empor und werfe mich gegen den Fahrstuhlknopf. Jetzt nicht schlapp machen! Die letzten Stufen keuchend, das letzte Stockwerk überwindend, höre ich die sich öffnende Fahrstuhltüre unter mir, gefolgt von einem zeitverzögerten „Der Arsch!“. Zufrieden schnappe ich nach Luft.

Die erste Pause naht. Erste Pause, erster Toilettengang denke ich und so mache ich mich auf den Weg zu dem Ort wo man sich zwar trifft, sich aber nicht die Hände zur Begrüßung reicht. Wie unhöflich. Das soll sich aber nun als mein geringstes Problem erweisen. Rechts belegt. Links belegt. Mitte frei. High Noon. Showdown. Das Ganze ist kein Spaß mehr, das ist bitterer Ernst. Wer zuerst aufgibt verliert. Ja kein Mucks. Genau meine Übung. Einmal die türkischen Berge im „Super Happy Gute Laune TUI Bus mit ohne Klo“ und Magen – Darm Grippe hoch und du bist der Meister der Selbstbeherrschung. Langsam wird’s eng. Sekunden vergehen wie Stunden, da höre ich links neben mir ein leises Wimmern. Was dann geschah wird mich noch lange verfolgen. Sekunden später höre ich wie draußen die Gullideckel wieder zu Boden fallen. Hoffentlich ist niemand verletzt denke ich, da öffnet sich auf der rechten Seite die Tür. Was ein Teufelskerl! Hat er doch tatsächlich die Gunst der Stunde genutzt. Was für ein Timing. Ein Profi. Gut. Nur noch wir zwei. Verständnisvoll frage ich „Mein Freund, geht es Dir gut?“, doch als Antwort: nur leises Wimmern. Ich erwidere: „Ich warte bis Du gegangen bist“, so viel Anstand muss sein in dieser schweren Stunde. Papier reißt, Wasser rauscht, die Türe öffnet sich. Als der Handtrockner verstummt, verstummt auch langsam das Wimmern.

Jetzt aber schnell. BWL. Noch fix die Splitterschutzweste und den Gefechtshelm an, bevor es heißt Defqon 1. Combat Zone. Kriechend und voll getarnt erreiche ich den Lehrsaal und bin reichlich überrascht. Niemand in Schutzkleidung da. Seltsam. Ob ich die Planänderung nicht gelesen habe, fragt man mich. Ich muss verneinen, völlig unverständlich, wenn man bedenkt, dass selbige ja rechtzeitig, also 4 Minuten vorher, auf meinem Handy „plopp“ gemacht hat. Hilft ja jetzt nichts. Ein Blick auf die Aktualisierung lässt mich blitzschnell die Notwendigkeit erkennen, meine Schutzkleidung gegen eine Patientenverfügung auszutauschen, die es meinen Angehörigen verbietet die Geräte während meines Wachkomas abzustellen. Staats- und Verfassungsrecht. So spannend, wie jedes Jahr zu Weihnachten „Der kleine Lord“ mit der Familie zu sehen. Die Parallelen sind verblüffend: steinalte Historie, aber du musst da durch. Macht man so.

In diesem Sinne Euch allen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch.