L i n g u a A d m i n i s t r a t i o n i s

– Eine Hymne dem Verwaltungsdeutsch –

Verwaltungsdeutsch gehörte ursprünglich zur indogermanischen Sprachenfamilie. Von deren übrigen Sprachen unterscheidet es sich aber grundlegend durch seinen Zweck. Während alle anderen Sprachen sich deshalb entwickelten, damit einer den anderen versteht, gebar die Notwendigkeit das Verwaltungsdeutsch für das genaue Gegenteil. In wunderbarer Weise enthält es zwar einerseits alles, was gesagt werden muss, schützt aber andererseits gleichzeitig die Verwaltung davor, dass der Bürger das auch versteht und somit unbefugten Einblick in Geheimnisse und Mystik der Verwaltung gewinnt. Sich klar ausdrücken heißt für den Verwaltungsbeamten, die kostbaren Geheimnisse der Verwaltung freizulegen, und ist deshalb ein Verstoß gegen seine Verschwiegenheitspflicht nach § 37 BeamStG.

Das Beherrschen des Verwaltungsdeutschs ist eine Kunst. Verständlich ausdrücken konnten sich selbst meine Kinder in frühestem Alter („Paapaaah, ham, ham!!!“), aber alles ebenso vollständig wie unverständlich zu formulieren, erfordert schon gehöriges Können, Intelligenz und Erfahrung. Trotzdem hat bisher in unserer Hochschule Allgemeines Verwaltungsdeutsch (AVD) keinen Eingang als Pflichtprüfungsfach gefunden. Solange aber unsere Einrichtung mit halbherzigen Reformen ein so wichtiges Gebiet ausklammert, müssen dessen wichtigste Regeln den Studenten über dieses Fachmedium mit auf den steinigen, mit Bürgern gepflasterten Weg gegeben werden:

Regel 1: Vermeide Verben, nimm Hauptwörter!

Das Verb ist das Tätigkeitswort. Tätigkeit produziert Hektik, Hektik macht krank und der Beamte hat schließlich die Pflicht zu seiner Gesunderhaltung. Deshalb stehen wir in der Verwaltung den Tätigkeitswörtern feindlich gegenüber. Vor allem aber offenbart sich der Sinn unserer Aussage nicht sofort jedem X-Beliebigen, wenn wir die anmutig lückenlose Folge von Hauptwörtern nicht durch leicht enttarnbare Verben verwässern.

„Die Dozenten prüfen die Studenten auf ihre Kenntnisse.“ Die klare Aussage dieses Satzes grenzt schon ans Obszöne. Der Beamte, der sich so ausdrückt, hat den falschen Beruf ergriffen. Schon wegen seiner Kürze kann der Satz nicht in Ordnung sein. Und wo bleibt die Verschachtelung, die Genitivtreppe, die Streckformel, das Flickverb, das Passiv? Wer sein Handwerk versteht, schreibt: „Von den Dozenten wird vermittels verschiedener Fragen eine Prüfung der Studenten der Laufbahn der Beamten zwecks Feststellung ihrer Kenntnisse hinsichtlich der Beherrschung bestimmter Gebiete ihrer Ausbildung vorgenommen.“ Na? Alles klar? Nein? Eben! Wir lesen unseren eigenen Satz immer wieder und verstehen ihn selbst nicht mehr. Trotzdem fehlt nichts. Ein Meisterwerk!

Regel 2: Verwende immer Passiv, nie Aktiv!

Der Beamte leidet. Er leidet unter dem Wetter, der Nullrunde, dem langen Donnerstag und vor allem: unter dem Bürger. Das muss sich auch in seiner Sprache widerspiegeln. Darum verwendet er stets die Leideform, das Passiv. Völlig obsolet dagegen ist das Aktiv, denn Aktivität ist Tun, also Hektik, also Krankheit (s.o.). Außerdem wollen wir uns nicht mit dem Bürger auf eine Stufe stellen, der immer etwas tut, vor allem uns nerven. Wir dagegen lassen den Bürger möglichst in Ruhe und tun erst einmal nichts. Also Passiv.

„Seitens des Antragstellers ist erklärt worden, seinerseits werde die Vorlage weiterer Unterlagen noch diese Woche erledigt. Von ihm ist noch ergänzt worden, weitere Mitteilungen würden noch von ihm gemacht.“ Das ist Musik im Verwaltungsohr. Nur ein Neandertaler würde sagen: „Der Antragsteller sagte, er werde weitere Unterlagen vorlegen, und ergänzte, er werde sich in den nächsten Tagen wieder melden.“

Regel 3: Sage alles zumindest doppelt!

Im Rahmen unserer gemeinsamen Korrespondenz haben wir Ihnen mit Schreiben vom … schon schriftlich mitgeteilt, dass das Antragsverfahren vor Erlass der stattgebenden Zulassung keine nachteiligen Hindernisse ergeben hat.“

Allein ist man nichts. Das gilt auch für das Wort. Zudem muss man stets unterstellen, dass der Adressat begriffsstutzig oder doch zumindest vergesslich ist. Also bedarf es der ständigen Wiederholung und Erinnerung. Der Bürger wird es uns danken, wenn er nun erfährt, dass man gemeinsam korrespondiert (und nicht etwa jeder für sich) und dass man dabei auch etwas schriftlich und das sogar in einem Schreiben mitteilen kann. Ihn wird auch interessiert haben, dass das Antragsverfahren der Zulassung vorangeht, die Zulassung selbst etwas gestattet (und nicht etwa verbietet) und Hindernisse im Antragsverfahren für ihn nachteilig sind.

Regel 4: Verwende tautologische Begriffe, notfalls erfinde sie!

Der in der vorangehenden Regel enthaltene Erinnerungsservice gegenüber dem Bürger sollte sich möglichst nicht nur auf den Satz, sondern auch auf das einzelne Wort beziehen. Diese Sinnverdoppelung ist zwar an sich keine Domäne der Verwaltung: Den Augenoptikern, Hörakustikernund Haarfriseurenwerden wohl bald die Fleischmetzgerund Stromelektrikerfolgen. Auch außerhalb der Verwaltung haben mystisch Veranlagte eine Vorahnung, während es doch bekanntlich schon schwierig genug ist, eine Ahnung von etwas zu haben. Doch diese Begriffe verdoppeln ohne spezielle Absicht nur schlicht den Sinn. Die Verwaltung dagegen verfolgt damit weitergehende Zwecke, insbesondere den, den Bürger geschickt zu verwirren und so vom Eigentlichen abzulenken.

So schreibt sie dem Bürger und bittet listig um „Rückantwort“. Und schon ist die angestrebte Verwirrung da. Zu antworten wäre dem Bürger noch leichtgefallen, aber rückantworten? Das wäre die Antwort auf die Antwort, also die Replik. So hat man den Bürger mit der Suche nach der Antwort beschäftigt, auf die er scheinbar antworten soll, und von unnötigen Dummheiten abgehalten, wie z. B. Rechtsbehelfe einzulegen. Ähnliche Erfolge lassen sich z. B. auch mit rückerstattenerzielen.

Überlegene Verwaltungs-EDV, mit deren Hilfe man nicht nur programmiert (was aus dem Altgriechischen kommend etwa vorbeschrieben heißt), sondern sogar vorprogrammiert,und die Daten nicht nur speichern, sondern – wie man vielfach hört – sogar abspeichernkann. Und ist eine moderne EDV Bedingung für effektives Verwaltungshandeln oder wieder einmal nur eine Vorbedingung, also die Bedingung für eine Bedingung? Immerhin ist ein Beamter, wenn er über Initiative hinaus sogar Eigeninitiativeergreift, für seine Tätigkeit nicht nur verantwortlich, sondern sogar eigenverantwortlich.

„Das Vaterschaftsgutachten hat mit einer Sicherheit von 99,89 % ergeben dass Sie der Kindesvater sind.“ Eine solche Mitteilung stößt beim Adressaten in der Regel auf wenig Begeisterung, bedeutet sie doch langjährige Zahlungspflichten infolge oft nur weniger Minuten des Glücks. Dafür muss der arme Tropf doch wenigstens erfahren, wovon er denn nun eigentlich Vater ist. Und das hat er nun amtlich: von einem Kind!

Bescheidenheit dagegen drückt ein Sachbearbeiter aus, der sich an verschiedene Verwaltungsvorgänge zurückerinnert. Beseitigt diese Formulierung doch des Bürgers Befürchtung, der bekanntermaßen übermenschliche Verwaltungsbeamte habe gar übersinnliche Kräfte, insbesondere die, sich vorwärtszuerinnern.

Regel 5: Suche und schaffe Scheinsynonyme!

Ein guter Verwirrungserfolg lässt sich auch dadurch erzielen, dass man Worte synonym benutzt, die Unterschiedliches bedeuten. Voraussetzung ist jedoch, dass zwischen beiden Begriffen eine gewisse Bedeutungsähnlichkeit besteht, weil der Trick sonst sofort auffiele. Anscheinend ist in dieser Gruppe am gebräuchlichsten, anscheinend und scheinbar gleichzusetzen, die nur scheinbar dasselbe bedeuten.

Der Empfänger des Schreibens ist zu bemitleiden, das folgendes enthält: „Dasselbe Schreiben erhält auch das für Sie zuständige Jugendamt.“ Dasselbe Schreiben? Dasselbe bedeutet Identität. Also muss der Adressat das Schreiben in seinen Händen der Behörde wieder zurücksenden, damit diese das dann an das Amt weiterleitet. Wie soll er sich dann aber ggf. gegen das Schreiben wehren? Und der Adressat fragt sich weiter, warum die Behörde nicht einfach das Schreiben kopiert und so das gleiche Schreiben (mit demselben Inhalt) parallel an das Jugendamt gesandt hat. Und mit diesen Überlegungen haben wir ihn wieder geschickt vom Eigentlichen abgelenkt.

„Ihre o. g. Handlung stellt eine Straftat gem. § XY StGB dar.“ Der Angesprochene erschrickt, befasst sich mit seiner Verteidigung und hat deshalb kein Auge mehr für das Wesentliche. Unbedarft erkennt er nicht, dass ihm gar nichts vorgeworfen wird. Darstellen heißt etwas verkörpern, ohne es zu sein. Der Schauspieler stellt den Hamlet dar, ist es aber natürlich nicht. Folglich sind Handlungen keine Straftaten, wenn sie sie nur darstellen.

„Ihre Angaben über die bauliche Anlage konnten wir leider nicht überprüfen, weil durch Ihr Verhalten unser Sachbearbeiter nicht in das Gebäude hereingehen konnte.“ Der Adressat überlegt: Was hätte er machen müssen, um die Überprüfung zu ermöglichen? Er weiß es nicht. Keiner weiß es. Herbedeutet in Richtung zum Handelnden, hinvon diesem weg. Wollte der Sachbearbeiter in das Haus? So sieht es zunächst aus. Das kann aber nicht sein, denn dann hätte er hineingehen wollen. Um hereinzugehen hätte er aber genau besehen schon im Haus sein und auf sich selbst zugehen müssen. Doch wenn er schon im Hause war, warum konnte er dann nicht gleich die Angaben überprüfen?

Regel 6: Mache Dich nicht zum Sklaven der Zeit!

Mit Schreiben vom …hatten wir Sie um Vorlage Ihrer Gewerbeerlaubnis gebeten.Sollten sie dem nicht binnen 14 Tagen ab Datum dieses Schreibens nachkommen, untersagen wir Ihnen das Gewerbe.“ Verwaltungsbeamte haben andere Zeitbegriffe als Sterbliche. Soweit Zeit nicht durch eine Stechuhr messbar ist, vollzieht der Beamte mühelos den sog. time-warp (Zeitsprung). Was Albert Einstein mühsam kompliziert berechnen musste, vollzieht der Beamte täglich routiniert und treffsicher. Im o. g. Schreiben startet der gewitzte Sachbearbeiter in der Vorvergangenheit („hatten“), statt in der Vergangenheit („haben“). Geschickt verleitet er so den Adressaten zu der fruchtlosen Überlegung, welcher Vorgang der Vergangenheit nun diesem Bericht aus der Vorvergangenheit folgen mag. Es folgt aber nichts, sondern der beamtete Schreiber ist nur wie mit einer Zeitmaschine – schwupp! – in eine frühere Epoche ausgewichen.

Hiervon noch angeschlagen muss der Sterbliche nun ein weiteres Mal seine Minderwertigkeit spüren. Zwar wird ihm eine Frist eingeräumt. Trotzdem kann er der Gerwerbeuntersagung nicht mehr entgehen. Denn zu spät bemerkt er, dass die Behörde nicht angekündigt hat, dass sie erst nach Fristablauf untersagen werde, was ihm zumindest eine winzige, wenn auch nur theoretische Chance beließe, sondern sie untersagt, sie tut das also jetzt. Hier zeigt sich eben, dass in der Verwaltung schon längst die Zukunft Gegenwart geworden ist.

Regel 7: Benutze ruhig auch andere Tricks!

Beiliegend übersenden wir Ihnen die beantragte Genehmigung.“ Nach den Regeln der Grammatik bezieht sich ein Partizip immer auf das ihm am nächsten stehende Hauptwort. Deshalb stutzt der Empfänger. Sollten diesem Brief – dem trojanischen Pferd gleich – neben der Genehmigung noch Sachbearbeiter beiliegen? Der amtliche Wortlaut („beiliegend … wir“ = wir beiligend) ist unzweifelhaft. Zu erkennen ist zwar nichts, aber was heißt das schon: Wenn der Sachbearbeiter nie in seinem Büro zu sehen ist, warum dann hier im Couvert?

„Das Formular bitten wir, umgehend auszufüllen und die Unterlagen wieder zurückzusenden.“ Wer soll hier was machen? Der Bürger glaubt, er solle das Formular ausfüllen und dann alles zurückschicken. Aber da nimmt er sich wieder einmal zu wichtig! Er ist gar nicht angesprochen. In seinem Aktivismus hat er das Komma übersehen. Durch dieses geschickt gesetzte Satzzeichen wird „das Formular“ vom Teil der Infinitivgruppe zum Objekt des Satzes. Folglich wird das Formular gebeten, umgehend (was auch immer) auszufüllen. Das ist auch logisch, da für den Verwaltungsbeamten Formulare erheblich vertrauter sind als der Bürger und er sich folgerichtig bei wichtigen Aufgaben lieber an diese wendet.

Fazit

Wie man sieht, dient die Verwaltungssprache der Allgemeinheit und den menschlichen Beziehungen, also den Beziehungen zwischen Menschen, was im öffentlich-rechtlichen Über- / Unterordungsverhältnis (Staat – Bürger) eben die Beziehung zwischen Über- und Untermenschen bedeutet. Darüber hinaus dient sie nach Aussage vieler Behördenleiter auch den zwischenmenschlichen Beziehungen, also den Beziehungen zwischen Zwischenmenschen. Letzteres können nur jene sein, die im o.g. Sinne weder Über- noch Untermenschen, sondern eben etwas dazwischen sind. Diese Voraussetzungen erfüllen allein die Studenten. Somit lässt sich nicht leugnen, ja schon gar nicht ableugnen:

Das Verwaltungsdeutsch dient auch den Studenten.

Autor:

Dietrich G. Rühle

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